Berlin, 17. August 2022 – Der TÜV-Verband hat angesichts der geplanten Legalisierung von Cannabis vor einer Bagatellisierung des Konsums und dessen Folgen für die Verkehrssicherheit gewarnt. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass der Konsum und die Wirkung von Cannabis harmlos oder effektlos für die Fahrsicherheit sind“, sagt Marc-Philipp Waschke, Referent für Verkehrssicherheit beim TÜV-Verband. „Der Konsum von Cannabis beeinflusst das Urteilsvermögen, die motorische Koordination und die Reaktionszeit. Das sind wichtige Fähigkeiten, die für sicheres Fahren erforderlich sind.“ Es müsse klar sein, dass Cannabiskonsum und Autofahren strikt getrennt werden müssen. Die Ampelkoalition strebt die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken an. Geplant ist eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene. Cannabis-Konsument:innen, die aktiv am Straßenverkehr teilnehmen, riskieren bereits beim erstmaligen Verstoß ein Bußgeld in Höhe von 500 Euro, zwei Punkte in Flensburg und ein Fahrverbot von einem Monat.
Wird bei Autofahrer:innen ein THC-Gehalt ab 1 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) Blutserum festgestellt, können Zweifel an der Fahreignung begründet sein. Die Verkehrsbehörden können dann eine ärztliche Begutachtung oder eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) anordnen. Die derzeit diskutierte Erhöhung des THC-Grenzwertes von 1,0 ng/ml sieht der TÜV-Verband kritisch. Waschke: „Mit Blick auf die Verkehrssicherheit würde die Anhebung des aktuellen THC-Grenzwertes eindeutig das falsche Signal senden.“ Anlässlich des Verkehrsgerichtstags, der vom 17. bis 19. August in Goslar stattfindet, veröffentlicht der TÜV-Verband das Positionspapier „Cannabis im Straßenverkehr“. Die politischen Empfehlungen stützen sich auf eine Auswertung aktueller Fahreignungsgutachten.
Auswertung aktueller Fahreignungsgutachten
Eine aktuelle bundesweite Auswertung des TÜV-Verbands von rund 800 Fahreignungsgutachten, die aufgrund von Cannabiskonsum erfolgten, verdeutlicht, dass die geltenden Regelungen richtig sind. Über 85 Prozent der untersuchten Fahreignungsgutachten lag ein Cannabis-Konsum zugrunde, der im Hinblick auf die Fahreignung bedenklich ist, mit angegebenem täglichem Konsum, Kombination mit Alkohol oder weiteren Drogen, psychiatrischen Grunderkrankungen oder gravierenden psychischen Problemen. Dabei zeigte sich kein Unterschied der Untersuchten mit THC-Konzentration bis oder über 3 ng/ml, der als neuer Grenzwert zur Diskussion steht. „Kraftfahrer:innen, die eine Fahreignungsuntersuchung absolvieren müssen, weisen eine erhebliche Drogenproblematik auf, unabhängig von der Höhe der THC-Konzentration“, erklärt Waschke. „Es handelt sich in der Regel also nicht um gelegentliche Cannabiskonsument:innen, die Konsum und Fahren zuverlässig trennen.“ Durch eine Erhöhung des analytischen Grenzwertes besteht die Gefahr, dass sich Kraftfahrer:innen mit weniger als 3,0 ng/ml THC im Blutserum, jedoch mit Risikomerkmalen, keiner Fahreignungsüberprüfung mehr unterziehen müssen.
Intensive Forschung und verbesserte Unfallstatistik zu Cannabiskonsum notwendig
Cannabis ist nach Alkohol das am zweithäufigsten konsumierte Rauschmittel in Deutschland. Während jedoch die Auswirkungen von Alkohol auf die Fahrtüchtigkeit allgemein gut bekannt sind, wird das Gefahrenpotenzial von Cannabis von vielen Menschen unterschätzt. Eine repräsentative Studie des TÜV-Verbands zeigt, dass weniger Bundesbürger:innen das Fahren unter Cannabiseinfluss für riskant halten als das Fahren unter Alkoholeinfluss: Während 79 Prozent Alkohol beim Autofahren als „sehr gefährlich“ einstufen, ist das bei Cannabis nur bei 61 Prozent der Fall. Nicht einmal jede:r zweite Befragte gibt an (47 Prozent), sich über die Regelungen zu Cannabis im Straßenverkehr gut informiert zu fühlen. „Es besteht in der Bevölkerung dringender Aufklärungsbedarf über die Folgen des Cannabis-Konsums im Straßenverkehr“, betont Waschke.
Anders als bei Alkohol sind die Beeinträchtigungen durch Cannabis bislang weniger gut erforscht. „Je nach Produkttyp, Konsumart, konsumierter Menge und potenzieller Toleranz einer Person kann sich der Cannabiskonsum unterschiedlich auswirken“, sagt Waschke. Es bestehe daher ein großer Bedarf an weiteren wissenschaftlichen Studien zu Cannabis im Straßenverkehr. Waschke: „Die Legalisierung von Cannabis darf keine negativen Folgen für Verkehrssicherheit haben.“
Ein weiteres großes Manko ist, dass in der amtlichen Unfallstatistik bis dato nicht zwischen Cannabis und anderen Drogen unterschieden wird. Unfälle, die sich unter dem Einfluss von Cannabis ereignen, werden unter der Sammelkategorie „andere berauschende Mittel“ in der Unfallstatistik zusammengefasst. Gegenwärtig kann also nicht festgestellt werden, wie viele durch Cannabis verursachte Unfälle, Getötete und Verletzte es in Deutschland gibt. „Die Rolle, die Cannabis bei Unfällen spielt, muss statistisch besser erfasst werden“, sagt Waschke. Darüber hinaus sollten mehr polizeiliche Alkohol- und Drogenkontrollen im Straßenverkehr durchgeführt werden.
Das Positionspapier „Cannabis im Straßenverkehr“ finden Sie hier.
Hier finden Sie alle Umfrageergebnisse der TÜV Mobility Studie.
Hinweis zur Methodik: Grundlage der Angaben ist eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos im Auftrag des TÜV-Verbands unter 1.000 Personen ab 16 Jahren. Die Fragen lauteten: „Wie gefährlich sind Ihrer Meinung nach folgende Einflüsse beim Autofahren für die Sicherheit im Straßenverkehr?“ und „Fühlen Sie sich über die Regelungen bzw. mögliche Sanktionen von Alkohol und Cannabis im Straßenverkehr ausreichend informiert?“