28. Mai 2021 – Nach dem schweren Seilbahnunglück am Lago Maggiore in Italien beantwortet der TÜV-Verband Fragen zur Sicherheit von Seilbahnen in Deutschland und Europa. „Seilbahnen gehören zu den sichersten Verkehrsmitteln, da sie im laufenden Betrieb intensiv überwacht und jährlich von externen Sachverständigen aufwendig überprüft werden“, sagt Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands. Neben einer jährlichen externen Prüfung durch eine unabhängige Prüfstelle muss der Betreiber eine größere Zwischenprüfung durchführen. Hinzu kommen wöchentliche und monatliche Kontrollen einzelner Seilbahnsysteme und ihrer Bauteile. Bühler: „Längere Stillstände außerhalb der Saison oder aktuell durch die Corona-Pandemie sind für Seilbahnen nicht ungewöhnlich. Die externen Sicherheitskontrollen durch unabhängige Prüforganisationen finden davon unabhängig statt.“
Welchen Arten von Seilbahnen gibt es?
Unter dem Sammelbegriff „Seilbahn“ werden verschiedene Typen unterschieden. Bei der Standseilbahn befindet sich die Kabine am Boden, sie läuft in der Regel auf Schienen und wird durch ein Seil gezogen. Bei der der Seilschwebebahn („Luftseilbahn“) wird die Kabine von einem oder mehreren Seilen getragen und bewegt. Hier fährt die Pendelbahn immer zwischen Tal- und Bergstation hin- und her, die Fahrgäste steigen in eine stehende Kabine ein- und aus. Bei der Einseilumlaufbahn hängt die Kabine am selben Seil, das sie auch fortbewegt. Für den Aus- und Einstieg wird hierbei die Kabine kurz vom Seil ab- und wieder angekoppelt, bewegt sich dabei aber weiter. Ebenfalls zu den Bergbahnen zählen historisch auch die Zahnradbahnen (4 in Deutschland), die aber unter das Eisenbahnrecht fallen.
Welche Risiken gibt es?
Seilbahnen sind sehr sichere Verkehrsmittel. Die Zahl der Unfälle, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden, ist äußerst gering. Allerdings können durch den Dauerbetrieb und durch menschliche Einflussnahme technische Mängel oder Schäden entstehen, die zu Stillständen oder in seltenen Fällen zu Unfällen führen können. Durch die starke Beanspruchung kann es durch Materialermüdung zu Rissen oder Brüchen an Seilen oder einzelnen Komponenten kommen. Bei zu starken Pendelungen oder Seilablenkungen, etwa durch starken Wind, können Seile „entgleisen“ und aus den Führungen springen. Aber auch äußere Faktoren wie Blitzeinschläge, Eis oder morsche Bäume entlang der Trasse können Auswirkungen auf die Sicherheit einer Seilbahn haben. Brandschutz ist generell ein wichtiges Thema bei Seilbahnen, das hohe Anforderungen an die technische Ausführung und deren sicherheitsrelevante Bewertung stellt.
Welche Sicherheitsbestimmungen gibt es vor der Inbetriebnahme?
Bereits im Planungsverfahren und beim Bau einer neuen Seilbahnanlage muss die Sicherheit berücksichtigt werden. Seit April 2018 gilt hier die neue EU-Seilbahnverordnung (EU) 2016/424. Sie harmonisiert einheitlich in ganz Europa die Rechtsvorschriften für den Marktzugang von Seilbahnen und ihrer Teilsysteme. In Deutschland erfolgt die Umsetzung durch die Seilbahngesetze und Seilbahnverordnungen der einzelnen Bundesländer. Geregelt ist unter anderem, welche Prüfungen im Vorfeld zu durchlaufen sind und welche Anforderungen die dafür Benannten Stellen, zum Beispiel der TÜV, zu erfüllen haben. Bei der Inbetriebnahme müssen neben den technischen Anforderungen auch die Rettungsmöglichkeiten genau dargelegt werden. Erst nach erfolgreicher Prüfung gibt die zuständige Seilbahnbehörde den Betrieb frei.
Wie wird der laufende Betrieb überwacht?
Die Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen bei Seilbahnen wird in Deutschland von den Bundesländern beaufsichtigt und überwacht. Grundsätzlich gilt, dass jedes Jahr unabhängige Sachverständige einer anerkannten Stelle wie dem TÜV die gesamte Anlage prüfen. Sie nehmen alle Systeme der Seilbahn genau unter die Lupe: unter anderem Elektrik, Bremsanlagen, Sicherheits- und Überwachungseinrichtungen, Kabinen und Seile. Die so genannte „Aufsichtsprüfung“ nimmt mehrere Tage in Anspruch. Dabei werden modernste Verfahren eingesetzt, wie etwa die magnetinduktive Seilprüfung: durch sie lassen sich Drahtbrüche und Unregelmäßigkeiten im Seil bereits frühzeitig aufspüren. Auch Notfall- und Evakuierungsmaßnahmen werden geprüft. Zur Sicherheit der Fahrgäste sind aber noch weitere Checks vorgeschrieben. Zwischen den jährlichen Hauptprüfungen muss der Betreiber einer Seilbahn eine „Zwischenprüfung“ durchführen und das Ergebnis der zuständigen Aufsichtsbehörde melden. Zudem finden monatliche (z.B. Funktion der Überwachungssysteme) und wöchentliche (z.B. Sichtprüfung der Zugseile) Prüfungen durch das Betriebspersonal statt.
Was tun, wenn die Gondel stehen bleibt?
Im laufenden Betrieb kann es immer wieder vorkommen, dass eine Gondel stehen bleibt. Darüber muss sich kein Fahrgast Sorgen machen. Im Gegenteil: Eine stehende Bahn ist zunächst einmal eine sichere Bahn. In der Regel wird die Fahrt auch innerhalb weniger Augenblicke fortgesetzt. Sollte es sich um den seltenen Fall handeln, dass eine Evakuierung notwendig ist, gilt es, Ruhe zu bewahren und den Anweisungen des Personals unbedingt Folge zu leisten. Die vom Gesetzgeber maximal zulässige Evakuierungs- bzw. Bergezeit orientiert sich auch daran, ob es sich um offene Fahrzeuge, also Sessellifte, oder geschlossene Kabinen handelt. Auf keinen Fall dürfen Passagiere eigenständige Rettungs- oder Ausstiegsversuche unternehmen. Sowohl die Anlagenbetreiber als auch die Bergwacht und Höhenrettungseinheiten sind für diese Situationen geschult und trainieren die Evakuierung regelmäßig in Notfallübungen.
Kann man in einer Seilbahn vom Blitz getroffen werden?
Durch Ihre exponierte Lage sind Seilschwebebahnen tatsächlich häufig Ziel von Blitzeinschlägen. Problematisch kann das werden, wenn dadurch einzelnen Komponenten der Bahn beschädigt werden. Allerdings sind Seilbahnen durch Blitzableiter gesichert und werden bei heraufziehenden Gewittern außer Betrieb gesetzt.