Mit der nasskalten Jahreszeit beginnt die Erkältungssaison: Die Nase schnieft, der Schädel dröhnt und die Menschen greifen zu Erkältungs- oder Grippemitteln. Kaum jemand bedenkt dabei, dass diese Medikamente auch die eigene Fahrtauglichkeit beeinflussen können. „Was viele Autofahrer nicht wissen: Auch Heuschnupfen- oder Grippemittel können die Fahrtauglichkeit stark beeinflussen. Das gilt besonders, wenn man sie mit den falschen Getränken einnimmt“, warnt Dr. Christiane Weimann-Schmitz, Vorsitzende des VdTÜV-Arbeitskreises Verkehrsmedizin. Auch bei chronischen Erkrankungen oder permanenter Medikamenteneinnahme stellt sich die Frage, ob jemand noch Auto fahren darf. Allerdings bedeutet die Einnahme von Arzneimitteln nicht automatisch eine verringerte Fahrtüchtigkeit – im Gegenteil. Weimann-Schmitz: „Bei einigen Erkrankungen ist die regelmäßige Medikamenteneinnahme überhaupt erst die Voraussetzung, dass sich die Personen wieder hinters Steuer setzen dürfen.“ Im Interview beantwortet die Verkehrsmedizinerin Fragen zu den Auswirkungen von Dauermedikation, chronischen Erkrankungen und medizinisch bedingter Cannabis-Einnahme auf die Fahrtauglichkeit von Autofahrer:innen.
Frau Dr. Weimann-Schmitz, §2 Abs. 4 StVG besagt, dass alle Personen, die ein Kfz führen wollen, die dafür „notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen“ erfüllen müssen. Was bedeutet das für Personen, die permanent Medikamente einnehmen müssen?
Nicht nur für Menschen unter Dauermedikation gilt: Vor jeder Fahrt muss ich mich fragen, ob ich überhaupt in der Lage bin, ein Fahrzeug zu führen. Autofahrer, die Medikamente einnehmen, sollten sich grundsätzlich an die Anweisungen ihres Hausarztes halten. Wer das macht, hat den ersten richtigen Schritt getan. Allein auf das Wort des Arztes sollte man sich aber nicht verlassen, sondern immer auch noch einen Blick auf den Beipackzettel werfen.
Wirkt sich die Dauermedikation auf die Fahrtauglichkeit aus?
Nach der sogenannten Einstellungsphase, in der der Körper sich an ein Medikament gewöhnt und die Dosierung, wenn nötig, noch einmal angepasst wird, stellt eine Dauermedikation für die Fahrtauglichkeit der meisten Menschen kein Problem mehr dar. Bei einigen Erkrankungen ist die regelmäßige Medikamenteneinnahme überhaupt erst die Voraussetzung, dass sich die Personen wieder hinters Steuer setzen dürfen. So kann die Fahrtauglichkeit beispielsweise auch von Epileptikern wiederhergestellt werden.
Wie sieht es bei Medikamenten aus, die nach Bedarf genommen werden?
Das kann durchaus problematisch werden. Meist werden diese ohne Absprache mit einem Arzt genommen. Das passiert häufig bei Schmerzmitteln oder Beruhigungsmitteln. Der Körper ist an die Medikation nicht gewöhnt und kann unerwartet reagieren. Darunter leidet dann die Fahrtauglichkeit.
Und welche Medikamente sind für Fahrzeugführer:innen besonders kritisch?
Alle Medikamente, die psychotrop wirken, also Einfluss auf die Psyche nehmen, Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen, Epilepsie und Bluthochdruck, auch Schmerz- und Beruhigungsmittel, an die der Körper nicht gewöhnt ist. Besonders kritisch ist auch die Kombination verschiedener Medikamente, die untereinander Wechselwirkungen auslösen.
Was können Patient:innen dagegen tun?
Ein Problem ist das sogenannte Praxishopping. Dabei ziehen Patienten von Arzt zu Arzt. Häufig behält niemand den Überblick über die Wechselwirkungen der verschriebenen Medikamente. Hier stehen die Patienten aktuell selbst in der Pflicht: Sie sollten beim Arztbesuch immer eine Liste mit allen eingenommen Medikamenten parat haben. Eine Lösung für dieses Problem wäre ein Medikamentenplan. Dieser läuft bei einem Arzt zusammen, der den Überblick behält. Dieser Plan würde Ärzte in die Pflicht nehmen und Patienten aus ihrer Verantwortung entlassen.
Wie sieht es mit vermeintlich harmlosen Medikamenten aus, die zum Beispiel bei Allergien oder Erkältungen helfen?
Was viele Autofahrer nicht wissen: Auch Heuschnupfen- oder Grippemittel können die Fahrtauglichkeit stark beeinflussen. Das gilt besonders, wenn man sie mit den falschen Getränken einnimmt. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefragt: Beipackzettel sind in Deutschland bei Weitem nicht selbsterklärend. Wünschenswert wäre ein gut erkennbarer Hinweis zum Einfluss eines Medikaments auf die Fahrtauglichkeit schon auf der Verpackung. Das könnte zum Beispiel über ein Ampelsystem funktionieren oder mit einem roten Stoppzeichen. Mit Symbolen also, die bereits aus dem Straßenverkehr gelernt sind.
Seit März 2017 ist Cannabis in Deutschland als Arzneimittel zugelassen. Was müssen Fahrer:innen beachten, die aus medizinischen Gründen regelmäßig Cannabis konsumieren?
Bei medizinisch bedingter Cannabis-Einnahme sollten grundsätzlich dieselben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden wie bei anderen Medikamenten auch: Während der Gewöhnungsphase, mindestens aber sechs Monate lang, herrscht in der Regel keine Fahreignung. Die Auswirkungen des Cannabis-Konsums auf die Fahrtüchtigkeit sind bis jetzt noch kaum erforscht. Ergebnisse müssen wir also erst noch abwarten. Kurzfristig nach der Einnahme sollte man jedoch niemals fahren. Zusammen mit Alkohol sollte man Cannabis außerdem wegen der damit verbundenen deutlich erhöhten Unfallgefahr niemals einnehmen.
Und wann ist der Punkt erreicht, ab dem man sich definitiv nicht mehr hinters Steuer setzen sollte?
Bei schwerer Demenz und bestimmten Augenerkrankungen sollte man sich zum Beispiel nicht mehr hinters Steuer setzen. Die Fahreignung kann in diesen Fällen auch durch Medikamente nicht wiederhergestellt werden. Alle anderen Fälle sind – auch wenn das eine unbefriedigende Antwort sein mag – individuell zu prüfen. Generell kann man aber sagen: Sobald man selbst an der eigenen Fahrtauglichkeit zweifelt, sollte man nicht mehr fahren.
An wen kann man sich wenden, wenn man wissen möchte, ob man überhaupt noch fahrgeeignet ist?
Erster Ansprechpartner sollte der Hausarzt sein. Meist begleiten Ärzte ihre Patienten sehr lange. Dadurch bildet sich ein vertrautes Verhältnis. Und letztlich ist der Arzt dazu verpflichtet, seine Patienten ausführlich über mögliche Risiken bei der Teilnahme am Straßenverkehr aufzuklären. Er kann außerdem helfen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Auch die TÜV-Unternehmen bieten in ihren medizinisch-psychologischen Stellen vertrauliche Beratungsgespräche und Untersuchungen an.
Was raten Sie Menschen, die Zweifel an der Fahrtauglichkeit eines Angehörigen hegen?
Es ist wichtig, den direkten Dialog mit Betroffenen zu suchen. Genauso wichtig ist es aber, ihnen nicht das Gefühl von Entmündigung zu vermitteln. Sprechen Sie offen mit Ihnen, zeigen Sie ihnen Hilfsmöglichkeiten auf wie den Fitness-Check oder eine Fahrverhaltensbeobachtung bei den Begutachtungsstellen für Fahreignung der TÜV-Unternehmen. Angehörige haben außerdem die Möglichkeit, den Hausarzt als Vermittler zu diesem Gespräch hinzuzuziehen, um die eigenen Beobachtungen mit ärztlicher Expertise zu untermauern. Häufig fallen Menschen im Straßenverkehr erst auf, wenn sie einen Unfall verursacht haben oder aufgrund von Fahrauffälligkeiten in eine Verkehrskontrolle geraten sind. Deshalb ist es wichtig, stets die eigene Fahrtüchtigkeit zu hinterfragen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Medizinerin Dr. Christiane Weimann-Schmitz ist seit 2019 Vorsitzende des VdTÜV-Arbeitskreises Verkehrsmedizin. Sie ist Fachliche Leiterin Verkehrsmedizin bei der pima-mpu GmbH, einem Unternehmen der TÜV SÜD Gruppe.
Die medizinisch-psychologischen Stellen der TÜV-Unternehmen bieten Personen, die ihre Fahrtauglichkeit professionell überprüfen lassen möchten, unverbindliche und vertrauliche Informationsgespräche an. In diesem Rahmen werden vorliegende medizinische Befunde besprochen sowie eine spezielle verkehrsmedizinische und -psychologische Untersuchung durchgeführt. Teil der Untersuchung ist auch ein Fitness-Check, bei dem Reaktions-, Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit überprüft werden. Kann die Fahrtauglichkeit bestätigt werden, wird im Rahmen der Beratung ein Zertifikat ausgestellt, das im Falle eines selbstverschuldeten Unfalls Rechtssicherheit gibt. Für diejenigen, die nicht so fit wie vermutet sind, gibt es im Anschluss weiterführende Beratungsangebote.