Der Industrial Action Plan for the European automotive sector der EU-Kommission (COM(2025) 95) setzt wichtige Schwerpunkte für die europäische Automobilindustrie, insbesondere in den Bereichen Elektrifizierung, Digitalisierung und Resilienz der Lieferketten. Obwohl der Plan eine gute Grundlage für die zukünftige Entwicklung des Sektors bietet, bleiben zentrale Aspekte unberücksichtigt, die für eine sichere und nachhaltige Transformation der Branche essenziell sind. Für den TÜV-Verband hängt die Zukunft der Automobilindustrie dabei stark von ausgewogenen regulatorischen Rahmenbedingungen ab, die gleichermaßen Sicherheit und Innovation fördern und dabei die öffentlichen Interessen schützen. Aus Sicht des TÜV-Verbands fehlen insbesondere klare Regelungen zur Verkehrssicherheit beim automatisierten Fahren, die Stärkung der unabhängigen Drittprüfung sowie ein standardisiertes Verfahren zur Bewertung des Batteriezustands im Gebrauchtwagenmarkts.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass die angekündigte Evaluierung der Verordnung über die Genehmigung und Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen (2018/858) im Jahr 2026 mit dem Ziel einer regulatorischen Vereinfachung nicht dazu führen darf, dass das notwendige Maß an Fahrzeug- und Verkehrssicherheit in Europa abgeschwächt wird. Durch ihre neutralen Dienstleistungen tragen unabhängige Dritte dazu bei, sicherzustellen, dass neue Technologien die regulatorischen Anforderungen effizient erfüllen, ohne Unternehmen unnötig zu belasten.
Verkehrssicherheit und automatisiertes Fahren
Die EU-Kommission adressiert in ihrem Aktionsplan zwar das Potenzial autonomen und vernetzten Fahrens, um Europas globale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Allerdings kommt das Thema Verkehrssicherheit, als Grundlage für Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung für die Technologie, in der Gesamtdarstellung zu kurz. Noch immer bleibt offen, wie die von der EU geforderte hohe Sicherheitsperformance von Fahrzeugen konkret und nachvollziehbar gemessen bzw. nachgewiesen werden soll – gerade wenn Algorithmen und KI-basierte Systeme (z.B. für SAE-Level-4-Anwendungen) entscheidende Fahrfunktionen übernehmen.
Die EU sollte im Rahmen ihres Aktionsplans nicht nur einen technologischen, sondern verstärkt einen verantwortungsvollen sicherheitstechnischen Ansatz für automatisiertes Fahren fördern. Hierzu gehören EU-weit einheitliche Sicherheits- und Testverfahren, bei denen alle relevanten Risiken transparent gemacht werden, einschließlich der Interaktion mit konventionell geführten Fahrzeugen. Sicherheitsrelevante KI-Systeme sollen dabei auch weiterhin mit geprüften Realdaten angelernt und nicht direkt mit aus dem fließenden Verkehr gewonnenen Umfelddaten fortgeschrieben werden.
Unabhängige Fahrzeugüberprüfung bleibt unabdingbar
Während der Aktionsplan Investitionsanreize für Innovationen setzt, bleibt offen, wer langfristig die technische Sicherheit überwacht. Der Plan verlässt sich stark auf nationale Behörden, erwähnt jedoch nicht die Rolle unabhängiger Prüfstellen. Diese sollten eine zentrale Rolle bei der Überprüfung von beispielsweise KI-Updates und Cybersicherheitsaspekten im Fahrzeuglebenszyklus spielen. Darüber hinaus ignoriert der Plan, wie beispielsweise sicherheitskritische Software-Updates in die regelmäßige Fahrzeugüberprüfung (Periodic Technical Inspection, PTI) integriert werden sollen.
Die aktuellen Pläne der EU-Kommission für den Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten greifen zu kurz. Eine bloße Erweiterung des Data Acts reicht nicht aus, um die spezifischen Herausforderungen der Automobilbranche zu adressieren. Notwendig bleibt eine sektorspezifische Regulierung, die zukünftig sicherstellt, dass unabhängige Akteure der Fahrzeugüberwachung direkten Zugang zu relevanten Prüfdaten haben, um (Over-The-Air) Software-Updates, Sicherheitsfunktionen und Manipulationsfreiheit zu kontrollieren. Auch der Aufbau eines EU-weit kompatiblen Registers für Fahrzeugdaten und -Historie muss weiter forciert werden, vor allem um eine gegenseitige Anerkennung von Zulassungsdokumenten in der EU zu erreichen. Eine systematische Einbindung unabhängiger Prüforganisationen in Genehmigungs- und Überwachungsverfahren bleibt erforderlich, um Transparenz und Sicherheit über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus zu gewährleisten.
Battery State of Health (SoH) – Transparenz im Gebrauchtwagenmarkt
Die EU-Kommission erkennt die Bedeutung von Batteriedaten für Verbraucher an, liefert jedoch keine konkreten Vorgaben zur objektiven Bewertung des Batteriezustands in gebrauchten E-Fahrzeugen. Der Plan erwähnt zwar den „Battery Passport“, definiert aber nicht, wie die SoH-Bestimmung in den Prüfprozess integriert werden soll. Ohne eine neutrale, standardisierte SoH-Ermittlung besteht das Risiko, dass fragmentierte herstellerspezifische Lösungen ohne unabhängige Kontrolle zu Intransparenz und Manipulationen führen könnten. Ein EU-weit einheitliches, reproduzierbares Verfahren zur SoH-Bestimmung, idealerweise integriert in die Fahrzeugprüfung, ist notwendig, um Verbraucher:innen verlässliche Informationen zu bieten und den Gebrauchtwagenmarkt zu stärken.
Weiterhin hebt die EU-Kommission in ihrem Action Plan hervor, dass die Nachrüstung konventioneller Nutzfahrzeuge – insbesondere von Bussen – mit einem elektrischen Antriebsstrang einen kostengünstigen Beitrag zur Dekarbonisierung von Fahrzeugflotten leisten kann. Bereits auf nationaler Ebene liegen hierzu Empfehlungen für die Begutachtung entsprechender Umbaumaßnahmen vor. Der TÜV-Verband hat hierzu ein Merkblatt zur Einzelgenehmigung von Elektrofahrzeugen erstellt, das über seine Website abgerufen werden kann: Elektrofahrzeuge im Einzelgenehmigungsverfahren (MB-FZMO-764).
Fazit: Zentrale Fragen der Sicherheit kommen zu kurz
Der EU-Aktionsplan für die Automobilindustrie schafft zwar eine gute Basis, greift jedoch zentrale Fragen der Sicherheit und des Vertrauens in neue Technologien zu kurz auf. Um die Transformation der Branche sicher, nachhaltig und verbraucherfreundlich zu gestalten, sollte die EU-Kommission unter anderem:
- Die Sicherheit von KI-Fahrfunktionen klar regulieren und EU-weit harmonisierte Test- und Genehmigungsverfahren unter Berücksichtigung der bestehenden nationalen Vorschriften in den EU-Mitgliedsstaaten etablieren.
- Unabhängige Prüforganisationen stärker einbinden, um kontinuierliche Sicherheitsüberprüfungen und transparente Zertifizierungen sicherzustellen.
- Verlässliche Kriterien für ein standardisiertes SoH-Bewertungsverfahren für Batterien festlegen, um den Gebrauchtwagenmarkt zu stärken und Manipulationen zu verhindern.
Nur durch die Berücksichtigung dieser Aspekte kann die Transformation der Automobilindustrie erfolgreich und zukunftssicher gelingen. Wichtig ist, dass alle Akteure des Sektors in die weitere Ausgestaltung eng eingebunden werden, damit sich ein starker europäischer Binnenmarkt für saubere, zukunftssichere und digitale Mobilität entwickeln kann. Der TÜV-Verband begrüßt daher die Fortsetzung des strategischen Dialogs zur Zukunft der Automobilindustrie in Europa. Hierbei sollte die CITA als zentraler internationaler Akteur der unabhängigen technischen Fahrzeugüberwachung eng eingebunden werden. Aus Sicht des TÜV-Verbands steht fest: Nur mit gemeinsamen und konsequenten Anstrengungen – auf europäischer sowie nationaler Ebene – lassen sich die gesteckten Ziele für eine zukunftsfähige Automobilindustrie erreichen, die zugleich klimaneutral, digital und so auch wettbewerbsfähig ist.