03. Juni 2021
Zur Veröffentlichung des Verkehrssicherheitsprogramm 2021 bis 2030 der Bundesregierung sagt Richard Goebelt, Bereichsleiter ‚Fahrzeug & Mobilität‘ des TÜV-Verbandes:
„Mit dem neuen Verkehrssicherheitsprogramm für die kommende Dekade hat die Bundesregierung eine erste Grundlage für die zukünftige Verkehrssicherheit in Deutschland geschaffen. Erfreulich ist, dass das Leitbild der ‚Vision Zero‘ zum klaren Ziel des verkehrspolitischen Handelns ernannt wurde – nun gilt es das langfristige Ziel von null Verkehrstoten und Schwerstverletzten mit ganzem Einsatz anzustreben. Wie in anderen Ländern der EU muss dieses Ziel in Deutschland zukünftig Gesetzescharakter haben. Denn bei allen Erfolgen der Verkehrssicherheit in den letzten 60 Jahren, stagnierte der Rückgang der Zahl der Verunglückten zuletzt. Darüber dürfen die positiven Unfallzahlen 2020 nicht hinwegtäuschen. Die Abnahme der Zahl der Verkehrstoten um minus 10,7 Prozent im Vergleich zu 2019 ist ein Corona-Effekt. Bezüglich der Umsetzung bleibt das Verkehrssicherheitsprogramm allerdings an vielen Stellen leider zu vage. Es ist daher abzuwarten, welche konkreten Maßnahmen die neu gewählte Bundesregierung ab September tatsächlich umsetzen wird.“
Verkehrssicherheitsprogramm gibt richtige Impulse
„Positiv bewertet der TÜV-Verband, dass sich das Verkehrssicherheitsprogramm 2021-2030 auf den Schutz von schwächeren Verkehrsteilnehmer:innen fokussiert. Um eine sicherere Nutzung des Straßenverkehrs für Kinder, Zufußgehende, Radfahrer:innen und ältere Verkehrsteilnehmer:innen zu ermöglichen, gilt es die Infrastruktur zügig und umfassend aus- und umzubauen. Unser Straßenverkehr muss so gestaltet werden, dass die Verkehrsteilnahme, ob fahrend oder zu Fuß, sicher und fehlerverzeihend möglich ist. Durch eine vorausschauende und intelligente Verkehrsplanung können schwere oder gar tödliche Unfälle vermieden werden. Dazu zählen eine selbsterklärende Infrastruktur mit sicheren Querungsmöglichkeiten, getrennten Radwegen und digitale Maßnahmen zur Früherkennung von Gefahrenstellen im Straßenverkehr.“
Umgang mit Verkehrsgefährder:innen nicht ausreichend besprochen
„Das Verkehrssicherheitsprogramm sieht vor, dass sowohl die persönliche Verantwortung für mehr Verkehrssicherheit als auch die gegenseitige Rücksichtnahme gestärkt werden. Fahrer:innen, die bewusst Verkehrsverstöße begehen oder sich unter Alkohol- oder Drogeneinfluss hinters Steuer setzen, muss entschieden entgegen getreten werden. Wir empfehlen einen Ausbau der schulischen Verkehrserziehung, verpflichtende Fahreignungsseminare für auffällig gewordene Fahrer:innen sowie eine Absenkung des Grenzwertes für die Anordnung einer MPU bei erstmaliger Auffälligkeit mit Alkohol von 1,6 auf 1,1 Promille. Verpflichtende Fahreignungsseminare und Medizinisch-Psychologische Untersuchungen (MPU) unterstützen auffällig gewordene Fahrer:innen dabei, ihr Fahrverhalten zu ändern. In Kombination mit einer verkehrspsychologischen Begleitmaßnahme muss jetzt auch die Einführung von Alkohol-Interlock-Programmen für alkoholauffällige Kraftfahrzeugführer:innen tatsächlich erfolgen. Diese hatte der Bund bereits vor mehr als vier Jahren angekündigt.“
Es fehlen konkrete Lösungen für bekannte Herausforderungen des automatisierten Fahrens
„Fahrassistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen können einen wichtigen Beitrag für die ‚Vision Zero‘ leisten. Aber ihr volles Potenzial zur Unfallverhütung werden wir erst dann ausschöpfen können, wenn wir uns gemeinsam für ein höchstmögliches Sicherheitsniveau der Systeme über ihren gesamten Lebenszyklus einsetzen. Die Technologie für automatisierte Funktionen im Verkehr erfordert die Anpassung der technischen Sicherheitsprüfungen der Fahrzeuge: im Rahmen der Typgenehmigung und der Hauptuntersuchung sollten auch die automatisierten Fahrfunktionen von unabhängigen Stellen geprüft werden. Zusätzlich müssen Software-Updates mit Einfluss auf systemkritische Betriebsfunktionen der Fahrzeuge im laufenden Betrieb überwacht werden. Bei Algorithmen, dem Umgang mit Daten und Künstlicher Intelligenz muss zudem konkret geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen Prüforganisationen einen Fernzugriff auf Fahrzeugdaten erhalten. Der TÜV-Verband schlägt dafür die Einrichtung neutraler TrustCenter vor, die im Namen der zuständigen Behörden die Zugriffrechte datenschutzkonform verwalten. TrustCenter sind auch essentiell, wenn es darum geht einen vernetzten Datenraum für Verkehrssicherheit in Deutschland zu aufzubauen. Akteure der Verkehrssicherheitsarbeit erhalten über diesen Datenraum unmittelbaren Zugriffen u.a. auf Unfalldaten, Daten zum hochautomatisierten Fahren und Infrastrukturdaten für Zwecke der Forschung, Entwicklung und Sachverständigentätigkeiten.“
Für die erste Etappe bis 2025 muss das veröffentlichte Programm nun mit konkreten Maßnahmen u.a. im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung untermauert werden.