4. Mai 2021 – Pandemie-Souveränität, Klimaschutz und Digitalisierung: Das sind aus Sicht des TÜV-Verbands die zentralen Herausforderungen einer neuen Bundesregierung. „Die Corona-Pandemie hat die Schwächen unserer staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen offengelegt: Massive Defizite bei der Digitalisierung, Lieferengpässe bei wichtigen Medizinprodukten oder das Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern“, sagt Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands. „Wir haben jetzt die Chance, aus den Erfahrungen der Pandemie zu lernen, um sowohl akute und als auch künftige Krisen besser bewältigen zu können.“ Neben Vorkehrungen für eine mögliche neue Pandemie sei die Klimakrise die große, globale Herausforderung unserer Zeit. Auch hier ist entschiedenes Handeln notwendig, um die Erderwärmung zu stoppen. „Voraussetzung für eine nachhaltige Transformation ist die Digitalisierung, die wir in allen Bereichen unserer Gesellschaft vorantreiben müssen: in Schulen, im Gesundheitssystem, in der Mobilität oder in kleinen und mittelständischen Unternehmen“, sagt Bühler. „Damit wir die enormen Potenziale digitaler Technologien voll ausschöpfen können, müssen die Menschen Vertrauen in ihre Sicherheit haben. Das gilt insbesondere für neue Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz.“ Eine neue Bundesregierung habe es in der Hand, unser Land widerstandsfähiger, lebenswerter und sicherer zu machen. Seine Empfehlungen für einzelne Politikfelder hat der TÜV-Verband hat jetzt veröffentlicht.
Aus Sicht des TÜV-Verbands sollte die neue Regierung Strukturen schaffen, um vergleichbare Pandemien in Zukunft effizienter eindämmen zu können. Ein zentraler Pandemierat, besetzt mit Politiker:innen, Wissenschaftler:innen, Wirtschaftsvertreter:innen, Mediziner:innen und anderen Expert:innen, könnte Entscheidungen der Regierung vorbereiten, als Schnittstelle für die Kommunikation zwischen den Beteiligten dienen und die Beschaffung lebensnotwendiger Güter koordinieren. „Die Engpässe bei wichtigen Medizinprodukten wie Schutzausrüstung, Impfmaterialien oder spezieller Medizintechnik haben gezeigt, wie anfällig die Versorgung im Krisenfall ist“, sagt Bühler. Das bedeute nicht, dass alles vor Ort produziert werden muss. Bühler: „In einer Pandemie muss sichergestellt sein, dass die Qualität und Sicherheit importierter Produkte unabhängig überprüft werden kann. Hierfür sollten Kapazitäten für den Krisenfall vorgehalten werden.“ Als äußerst wirksam hat sich in der aktuellen Krise das System der arbeitsmedizinischen Versorgung in Deutschland erwiesen. Betriebsärzt:innen organisieren den Infektionsschutz, bieten Corona-Schnelltests an oder unterstützen Beschäftigte bei arbeitspsychologischen Problemen. „Die arbeitsmedizinische Versorgung muss gestärkt und Betriebsärzte frühzeitig in Impfkampagnen eingebunden werden“, betonte Bühler.
Klimaschutz ins Zentrum des Regierungshandelns stellen
Die Corona-Lockdowns haben dem Klima weltweit eine kurze Atempause verschafft und Länder wie Deutschland konnten ihre CO2-Reduktionsziele übertreffen. „Die neue Bundesregierung muss den Klimaschutz entschlossen vorantreiben“, fordert Bühler. Zentraler Baustein einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft ist die technische Realisierung der Energiewende. Sowohl für den Energieträger Wasserstoff als auch für Batterien als Energiespeicher fehlen europaweit geltende Standards für Sicherheit und Nachhaltigkeit sowie deren unabhängige Überprüfung. Darüber hinaus sollten Windkraftanlagen regelmäßig geprüft werden, um das Risiko von Havarien zu reduzieren und die Akzeptanz der Windenergie in der Bevölkerung zu fördern. Nicht zuletzt sollten in der EU für möglichst alle neuen Produkte verbindliche Vorgaben geschaffen werden, die Nachhaltigkeitskriterien wie Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Recycelbarkeit oder den CO2-Fußabdruck berücksichtigen.
Wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Transformation ist die Mobilitätswende, da der Verkehr für etwa ein Fünftel des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. „Mängel bei der Abgasreduktion in Fahrzeugen sollten genauso streng behandelt werden wie Sicherheitsmängel, um Defekte zu erkennen und Manipulationen zu verhindern“, sagt Bühler. Bei der periodischen Abgasuntersuchung (AU) müssten weitere Schadstoffe wie Stickstoffoxid (NOx) gemessen und der Zugang zu umweltrelevanten Daten im Fahrzeug gewährleistet werden. Beim Umstieg auf alternative Antriebe mangelt es in einigen Bereichen noch an technischen und regulativen Voraussetzungen. So fehlen bei der Förderung von Wasserstoffantrieben noch eine sichere Infrastruktur und bestimmte Vorgaben für die Hauptuntersuchung von H2-Fahrzeugen. Bei Elektroautos ist eine einheitliche Definition für den „State-of-Health“ der Antriebsbatterie sowie deren unabhängige Ermittlung notwendig. „Nur mit einem einheitlichen Verfahren für die Batteriebewertung kann sich ein florierender Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos entwickeln und Stromspeicher können nach ihrem Einsatz in Fahrzeugen leichter weiterverwendet werden“, sagt Bühler. Bei allen Vorhaben der Mobilitätswende spielt die Nutzung von Fahrzeugdaten eine zentrale Rolle. Der TÜV-Verband schlägt vor, den diskriminierungsfreien und sicheren Zugang zu Fahrzeugdaten über TrustCenter zu organisieren und die Daten nicht allein den Herstellern zu überlassen.
Schwächen des Digitalstandorts Deutschlands beseitigen
Voraussetzung für eine zukunftsfähige und nachhaltige Gesellschaft ist die Digitalisierung. „Die Corona-Pandemie hat die Schwachstellen des Digitalstandortes Deutschland aufgezeigt und gleichzeitig einen Digitalisierungsschub ausgelöst“, sagt Bühler. „Die neue Bundesregierung muss diesen Impuls nutzen und die rasche Verbreitung digitaler Lösungen in der Wirtschaft, im öffentlichen Sektor und im privaten Bereich vorantreiben.“ Allerdings bremsen Sorgen der Nutzer:innen vor Hackerangriffen, Verletzungen ihrer Privatsphäre oder den Risiken Künstlicher Intelligenz den Einsatz digitaler Technologien. „Eine gezielte europäische und nationale Regulierung erhöht das Schutzniveau im digitalen Raum und fördert das Vertrauen der Anwender:innen“, sagt Bühler. Das gelte unter anderem für die Cybersecurity-Vorgaben für Unternehmen im IT-Sicherheitsgesetz 2.0 oder die geplante Regulierung von Künstlicher Intelligenz in der EU. „Nicht zuletzt ist in der EU ein neues Verständnis von Produktsicherheit notwendig, bei dem digitale Sicherheit und Datenschutz integrale Bestandteile sind“, sagt Bühler. Entsprechende Vorgaben müssten in alle entsprechenden EU-Gesetze wie beispielsweise die Maschinenrichtlinie einfließen.
Der TÜV-Verband hat seine politischen Empfehlungen für die neue Legislaturperiode in 14 zweiseitigen Policy Sheets veröffentlicht, die hier abrufbar sind.
Eine Übersicht gibt das Positionspapier „Zukunft Deutschland – Nachhaltig, digital und resilient durch unsichere Zeiten“.