Fast jedes fünfte in Deutschland zugelassene Nutzfahrzeug (19 Prozent) ist mit erheblichen technischen Mängeln durch die Hauptuntersuchung (HU) gefallen. Das ist das Ergebnis des aktuellen „TÜV Reports Nutzfahrzeuge 2019“. Zum Vergleich: Im TÜV-Report 2017 lag die Durchfallquote von Lastkraftwagen bei der HU noch bei 22 Prozent und 2015 bei 25 Prozent. „Die technische Sicherheit von Lastkraftwagen hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren trotz steigender Beförderungsleistung spürbar verbessert“, sagte Richard Goebelt, Bereichsleiter Fahrzeug und Mobilität beim TÜV-Verband (VdTÜV), bei der Vorstellung des Reports. „Eine bessere, vorausschauende Pflege der Nutzfahrzeuge durch optimierte Leasing- und Wartungsverträge in Kombination mit einer hohen Prüfdichte tragen zu der positiven Entwicklung bei den Mängelquoten bei.“ Lkw ab 3,5 Tonnen müssen in Deutschland alle 12 Monate zur Hauptuntersuchung. Bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre sind, erfolgt zum Halbjahr zusätzlich eine Sicherheitsprüfung. Laut Nutzfahrzeug-Report 2019 weisen 14 Prozent aller untersuchten Fahrzeuge geringe Mängel auf und 67 Prozent waren mängelfrei. Der Anteil der Nutzfahrzeuge ohne Mängel ist im Vergleich zu 2017 um 5 Prozentpunkte gestiegen.
Trotz dieser insgesamt positiven Trends sind aus Sicht des TÜV-Verbands auf den Straßen immer noch zu viele Lastkraftwagen mit erheblichen technischen Defiziten unterwegs, die zu Unfällen führen und Menschen gefährden können. Immerhin 1.300 Nutzfahrzeuge wurden von den TÜV-Prüfern als verkehrsunsicher eingestuft und an Ort und Stelle aus dem Verkehr gezogen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn tragende Teile weitgehend durchgerostet sind. Im Verhältnis zu den 1,85 Millionen im Untersuchungszeitraum begutachteten Fahrzeugen ist der Anteil verkehrsunsicherer Fahrzeuge aber gering. „Die häufigsten Mängel sind Defekte an der Beleuchtung sowie an den Achsaufhängungen der Fahrzeuge. Zudem traten häufiger Korrosionen und Probleme mit Bremstrommeln oder Bremsscheiben auf“, sagte Goebelt. Stellen die Sachverständigen diese Mängel fest, fallen die Fahrzeuge durch die Hauptuntersuchung und müssen nach der Reparatur innerhalb eines Monats erneut vorgeführt werden.
In den unterschiedlichen Gewichtsklassen liegen die Durchfallquoten, also der Anteil der Fahrzeuge mit erheblichen Mängeln, mit jeweils rund 20 Prozent etwa gleichauf. „Im Vergleich zu den vorherigen Untersuchungen vor zwei und vier Jahren haben sich die Durchfallquoten angeglichen“, sagte Goebelt. Die mit Abstand wichtigste Fahrzeugklasse sind leichte Nutzfahrzeuge mit bis zu 3,5 Tonnen Gewicht. Etwa vier von fünf der in Deutschland zugelassenen rund 3,15 Millionen Nutzfahrzeuge sind leichte Transporter wie Mercedes Sprinter, Ford Transit, Fiat Ducato oder VW Transporter. Im Vergleich zum Jahr 2010 ist der Fahrzeugbestand in dieser Klasse vor allem aufgrund des zunehmenden Lieferverkehrs laut Kraftfahrt-Bundesamt um 41 Prozent auf 2,6 Millionen gestiegen. Der Anteil der Kleintransporter mit erheblichen Mängeln liegt mit einem Anteil von 20 Prozent leicht über dem Durchschnitt. Naturgemäß steigen die Durchfallquoten mit dem Alter der Fahrzeuge kräftig an. Fallen in diesem Segment nach zwei Jahren 7 Prozent durch die HU, sind es nach sechs Jahren schon 18 Prozent und nach zehn Jahren 30 Prozent. „Neben Mängeln bei der Beleuchtung und Ölverlust macht bei den älteren Kleintransportern häufig die Achsaufhängung Schwierigkeiten“, sagte Goebelt.
Besser als in den Vorjahren schneiden auch die leichten und mittelschweren Lkw über alle Altersstufen ab. Die leichten Lkw von 3,5 bis 7,5 Tonnen weisen mit 18 Prozent die niedrigste Durchfallquote der vier Gewichtsklassen aus. Im Vergleich zum Jahr 2017 konnten sie sich um 4 Prozentpunkte verbessern. Allerdings hat sich die Zahl der erheblichen Mängel in den ersten beiden Jahren nach der Erstzulassung leicht erhöht. Bei den mittelschweren Lkw mit einem Gewicht von 7,5 bis 18 Tonnen ist die Quote der erheblichen Mängel um 3 Punkte auf 19,5 Prozent gesunken. In diesem Segment bestehen in allen Altersklassen deutlich mehr Fahrzeuge die Hauptuntersuchung und fallen deutlich weniger wegen erheblicher Mängel durch.
Entgegen diesem Trend haben die schweren Lkw ab 18 Tonnen schlechter abgeschnitten. Die Durchfallquote ist im Vergleich zu 2017 um 1,6 Punkte auf 19,7 Prozent gestiegen. „Die Pflegementalität der Nutzer lässt mit dem Alter der Fahrzeuge nach und ältere Fahrzeuge werden auf Verschleiß gefahren. Das ist vor allem in boomenden Wirtschaftszweigen wie der Baubranche der Fall“, sagte Goebelt. Mit einer durchschnittlichen Laufleistung von 200.000 Kilometern pro Jahr sind schwere Lkw die mit Abstand am stärksten beanspruchten Nutzfahrzeuge.
Aus Sicht des TÜV-Verbands muss die gesetzlich vorgeschriebene Hauptuntersuchung von Nutzfahrzeugen mit Blick auf den Klimaschutz und die Digitalisierung mit hoher Dringlichkeit weiterentwickelt werden. „Die EU-Staaten haben sich auf eine kräftige Reduzierung der Emissionen von Lkw bis zum Jahr 2030 verständigt“, sagte Goebelt. „Das starke Flottenwachstum und die steigenden Verkehrsleistungen zeigen, dass die neuen Grenzwerte bei Lkw mit dem Dieselantrieb nicht zu erreichen sind.“ Die Lösung sei ein Mix alternativer Antriebstechnologien, die am besten ohne fossile Energieträger auskommen. Goebelt: „Neben dem Umstieg auf alternative Antriebe muss parallel dazu im Rahmen der Abgasuntersuchung geprüft werden, ob Verbrenner-Fahrzeuge die vorgeschriebenen Werte einhalten.“ Bisher werden bei Benzinern lediglich der Kohlenmonoxid-Gehalt und das Kraftstoff-Luft-Gemisch gemessen und bei Dieseln die Rauchgastrübung. Ab 1. Januar 2021 soll bei Dieselfahrzeugen zusätzlich eine Messung der Partikelanzahl erfolgen. Nach Ansicht des TÜV-Verbands sollten in Zukunft sowohl die Partikelanzahl bei Otto-Motoren als auch weitere Luftschadstoffe wie die umweltgefährdenden Stickoxide (NOx) im Rahmen der Abgasuntersuchung real gemessen werden.
Handlungsbedarf besteht auch bei der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung der Fahrzeuge. Neben den bereits zur Standardausstattung gehörenden Notbrems- und Spurhalteassistenten wird ab 2022 auch der Einbau von Abbiegeassistenten in neuen Lkw-Typen Pflicht, um Radfahrer und Fußgänger besser zu schützen. „An den entsprechenden Standards zur Prüfung von Fahrassistenzsystemen wird momentan mit Hochdruck gearbeitet“, sagte Goebelt. Auch der Schutz vor Cyberangriffen auf vernetzte Fahrzeuge oder der Datenschutz sind bisher unzureichend gesetzlich geregelt. Bisher existieren keine international einheitlichen Testmethoden und Standards zur Validierung und Genehmigung automatisierter Fahrfunktionen sowie deren Software. Ziel muss die Schaffung von Testumgebungen für Smart Mobility sein, um die schnelle Markteinführung automatisierter Systeme zu ermöglichen. Goebelt: „Die Überprüfung digitaler Fahrzeugsysteme muss bereits im Genehmigungsprozess mitgedacht werden, damit sie später Gegenstand der regelmäßigen TÜV-Prüfung werden können.“
Hinweis zur Methodik: Für den „TÜV-Report Nutzfahrzeuge“ sind vom TÜV-Verband rund 1,85 Millionen Hauptuntersuchungen der Jahre 2017 und 2018 ausgewertet worden. Die Ergebnisse werden für vier Gewichtsklassen dargestellt: von leichten Transportern mit weniger als 3,5 Tonnen über leichte Lkw mit 3,5 bis 7,5 Tonnen und mittelschweren Lkw mit 7,5 bis 18 Tonnen bis zu schweren Lkw ab 18 Tonnen. Der TÜV-Report Nutzfahrzeuge erscheint alle zwei Jahre im Wechsel mit dem TÜV Bus-Report.