Ambitionierter Koalitionsvertrag

Der jüngst vorgestellte Koalitionsvertrag enthält ehrgeizige Ziele bei den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wichtig dabei: Digitale Modernisierung und digitale Sicherheit müssen Hand in Hand gehen. Der TÜV-Verband bewertet den Koalitionsvertrag.

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Zum Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition sagt Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands: „Der Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition ist ambitioniert und setzt mit Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit die richtigen Schwerpunkte. Jetzt kommt es auf eine konsequente und zügige Umsetzung der Vorhaben an. Deutschland muss in vielen Bereichen aufholen, allen voran bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, den Schulen und dem Gesundheitswesen.“ Allerdings sieht der TÜV-Verband auch Verbesserungsbedarf, insbesondere beim Thema digitale Sicherheit. „Digitale Modernisierung und digitale Sicherheit müssen Hand in Hand gehen“, sagt Bühler. „Deutschland braucht dringend ein Sicherheits-Update.“

Der TÜV-Verband hat eine Bewertung des Koalitionsvertrages bei den für die Prüforganisationen relevanten Themen vorgenommen.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Der TÜV-Verband begrüßt, dass die neue Bundesregierung die ökologische Transformation deutlich konsequenter vorantreiben will. Die Anhebung der Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien ist konsequent und richtig. Die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren insbesondere bei der Windenergie ist dafür ein wichtiger Schritt. Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, spielt Wasserstoff eine wichtige Rolle – vor allem bei der Dekarbonisierung der Industrie. Positiv ist, dass die Ampel-Koalition den Markthochlauf von Wasserstoff vorantreiben und sich auf europäischer Ebene für eine einheitliche Zertifizierung von Wasserstoff und seinen Folgeprodukten einsetzen will. Das ist wesentlich für einen grenzüberschreitenden Handel mit klimaneutral erzeugten Gasen. In der Nationalen Wasserstoffstrategie sollten Sicherheitsthemen noch stärker in den Fokus rücken, um Vertrauen und Akzeptanz in die Technologie zu stärken.

Neben der Dekarbonisierung spielt die Kreislaufwirtschaft eine entscheidende Rolle, um Deutschland klimaneutral zu machen. Wir begrüßen, dass die künftige Bundesregierung dabei besonders auf ein nachhaltiges Produktdesign setzt. Europaweit einheitliche und verbindliche Anforderungen für Produkte wie Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit, Recyclebarkeit und Reparaturfähigkeit sind Grundvoraussetzung für einen effektiven Ressourcen- und damit auch Klimaschutz. Neben verbindlichen Anforderungen kommt es darauf an, deren Einhaltung konsequent und unabhängig zu prüfen.

Die Ampel-Koalition geht auch beim nachhaltigen Bauen und Wohnen voran. Gebäude haben einen wesentlichen Anteil am Gesamtenergiebedarf und an den Treibhausgasemissionen in Deutschland. Hier besteht großes Einsparpotenzial. Positiv bewertet der TÜV-Verband insbesondere, dass Gebäude künftig unter dem Aspekt der Treibhausgas-Neutralität stärker über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden sollen. Auch ist zu begrüßen, dass digitale Technologien hier eine größere Rolle spielen sollen – mit der Schaffung eines digitalen Gebäuderessourcenpasses und Gebäudeenergiekatasters. Unabhängige Prüforganisationen können mit Energieaudits, Prüfungen der Gebäudetechnik oder Zertifizierungen von Baustoffen einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Umbau des Gebäudesektors leisten.

Künstliche Intelligenz

Der TÜV-Verband begrüßt, dass sich die neue Bundesregierung zum risikobasierten Ansatz des europäischen „AI Act“ für die Regulierung Künstlicher Intelligenz bekennt. Von KI-Anwendungen gehen immer dann erhebliche Risiken aus, wenn sie die Gesundheit von Menschen oder ihre elementaren Grundrechte gefährden. Bei diesen „Hochrisiko-Anwendungen“ sollten Drittprüfungen vor der Markteinführung verpflichtend sein. Dafür ist es notwendig, schon jetzt Know-how für die Prüfung und Qualitätssicherung von KI-Systemen aufzubauen. Der TÜV-Verband hat gemeinsam mit dem VDE die Einrichtung interdisziplinärer „AI Quality & Testing Hubs“ vorgeschlagen. Diese können ein wichtiger Baustein für KI-Qualität und Sicherheit ‚Made in Europe‘ sein und sollten in die Digitalstrategie der Bundesregierung integriert werden.

TrustCenter

Der TÜV-Verband begrüßt ausdrücklich, dass die neue Bundesregierung ein Mobilitätsdatengesetz mit freiem Zugang zu Verkehrsdaten schaffen möchte. Mobilitäts- und Fahrzeugdaten leisten einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit, sind notwendig für hoheitliche Aufgaben wie die Weiterentwicklung der Hauptuntersuchung sowie für Haftungsfragen in Bezug auf automatisiertes Fahren. Das Teilen dieser Daten benötigt deshalb eine gesetzliche Verankerung. Der TÜV-Verband hat mit dem TrustCenter-Konzept ein Modell vorgeschlagen, wie Fahrzeug- und Mobilitätsdaten in der Praxis für unterschiedliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden können und die Dateninhaber:innen gleichzeitig die volle Datensouveränität behalten.

Elektromobilität

Wie die Bundesregierung unterstützt der TÜV-Verband die Transformation des Automobilsektors, um die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen. Das Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Autos auf deutschen Straßen ist ein starkes Signal. Für einen Erfolg der Elektromobilität ist der Aufbau einer flächendeckenden, diskriminierungsfrei zugänglichen (Schnell-)Ladeinfrastruktur unerlässlich. Der TÜV-Verband begrüßt zudem das Bekenntnis zum konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien, denn E-Autos sind nur so umweltfreundlich wie der Strom, den sie „tanken“.

Digitalisierung von Fahrzeugdokumenten

Der TÜV-Verband begrüßt die Initiative der neuen Bundesregierung, die Digitalisierung von Fahrzeugdokumenten weiter auszubauen. Das erfolgreiche Projekt i-Kfz für die Online-An- und Abmeldung von Fahrzeugen sowie die damit einhergehende Einbindung digitaler Prüfberichte der Hauptuntersuchung sollten als Grundlage für den Aufbau eines nationalen „Digitalen Fahrzeugregisters“ genutzt werden. Hierfür sollten kurzfristig die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. Ein digitales Fahrzeugregister bietet Halter:innen, Behörden und Prüforganisationen die Möglichkeit, sicherheits- und umweltrelevante Änderungen am Fahrzeug während der gesamten Lebensdauer zu dokumentieren. Darüber hinaus könnten in dem Register Software-Updates für bereits zugelassene Fahrzeuge festgehalten werden. Das ist notwendig, da neue Software-Versionen Einfluss auf die Sicherheit und das Umweltverhalten eines Fahrzeugs haben können. Das digitale Fahrzeugregister könnte damit zu einem Best-practice-Beispiel in der EU werden.

Fahrerlaubniswesen

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, die Fahrausbildung stärker zu digitalisieren und die Fahrerlaubnisprüfung neu zu ordnen. Der TÜV-Verband begrüßt alle Schritte, die zu einer höheren Qualität der Fahrausbildung führen, um die hohen Durchfallquoten bei den Fahrprüfungen zu senken und einen Beitrag zur Verkehrssicherheit zu leisten. Das ist wichtig, da Fahranfänger:innen überdurchschnittlich häufig an Verkehrsunfällen beteiligt sind. Aus Sicht des TÜV-Verbands muss jede Weiterentwicklung der Fahrerlaubnisprüfung der Verkehrssicherheit dienen. Derzeit können unabhängige Organisationen im Auftrag der Bundesländer die Fahrprüfungen frei von marktwirtschaftlichen Zwängen durchführen. Dieses System hat sich bewährt. Die Technischen Prüfstellen gewährleisten ein hohes Maß an Neutralität und Objektivität und dienen allein dem Ziel, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Die Prüforganisationen haben die Durchführung der Theorieprüfung bereits weitgehend digitalisiert und die praktische Fahrprüfung erst kürzlich nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen modernisiert.

Die politischen Empfehlungen des TÜV-Verbands für die neue Legislaturperiode sind hier zu finden.