Wie beeinflusst das Homeoffice die psychische Gesundheit von Beschäftigten?

Iris Dohmen ist Fachgebietsleiterin Arbeits-, Betriebs- und Organisations-Psychologie bei TÜV Rheinland. Im Interview sprechen wir mit ihr über die psychischen Belastungen von Beschäftigten nach einem Jahr Homeoffice.

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Erschöpfung, Gereiztheit, Einsamkeit: Nach einem Jahr Homeoffice lassen sich die psychischen Schäden vom Homeoffice nicht mehr ignorieren. Sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Führungskräfte leiden unter verschiedenen psychischen Belastungen, die ihre Leistungsfähigkeit sowie den Umgang mit Kolleg:innen beeinträchtigen. Im Interview beantwortet die Arbeitspsychologin Iris Dohmen Fragen zu den Gründen dieser Belastungen und zeigt mögliche Lösungen auf.

Am Anfang der Corona-Pandemie haben viele Arbeitnehmer:innen den Wechsel vom Büro ins Homeoffice positiv gesehen: Sie erhoffen sich mehr Flexibilität und Autonomie bei der Zeiteinteilung, zum Beispiel für die Kinderbetreuung. Hat sich daran etwas geändert? 

Dohmen: In den letzten Monaten klagen Mitarbeiter:innen zunehmend über psychische Belastungen wie Erschöpfung oder Schlafstörungen. Oft sind die Lebenspartner:innen auch im Homeoffice und die Kinder im Home-Schooling, was dazu führt, dass die Eltern keinen Freiraum für sich selbst haben und sich überwältigt fühlen. Obwohl das Homeoffice am Anfang als Motivation empfunden wurde, ist es auf Dauer eine riesige Herausforderung für viele Beschäftigte.

Leiden auch jüngere Mitarbeiter:innen unter psychischen Belastungen im Homeoffice?

Dohmen: Ja. Jüngere Mitarbeiter:innen sind häufig Berufseinsteiger oder haben noch nicht so viel Erfahrung in ihrem Job. Sie brauchen bei ihrer Arbeit besonders viel Feedback von ihren Führungskräften – wie von einem Coach. Sie wollen Anerkennung, Wertschätzung und Ratschläge in kritischen Situationen. Das können viele Führungskräfte nicht mehr in vollem Umfang leisten, weil man sich nicht tagtäglich sieht. Wenn bei den jüngeren Mitarbeiter:innen solche Feedbacks nicht rechtzeitig ankommen oder gar ausfallen, leiden sie darunter.

Die Entgrenzung des Beruflichen und Privaten im Homeoffice führt oft dazu, dass Beschäftigte das Gefühl haben, ständig erreichbar sein zu müssen. Birgt diese Entgrenzung noch andere psychischen Belastungen? 

Dohmen: Diese Entgrenzung ist vor allem dann schädlich für die psychische Gesundheit, wenn Konflikte im Arbeitsumfeld auftreten. Bei Präsenzarbeit können Berufstätige zumindest versuchen, ihre beruflichen Konflikte nach der Arbeit im Büro zu lassen. Im Homeoffice bleiben sie jedoch im Privatleben präsent, weil man die räumliche Distanz zu beruflichen Ereignissen verliert. Das ist eine ganz neue Belastung für die Beschäftigten.

Was können Arbeitgeber und Beschäftigte dagegen tun? 

Dohmen: Im Homeoffice brauchen wir Regeln für die Erreichbarkeit und den Umgang miteinander. Dafür müssen Führungskräfte als Vorbild agieren, damit sich die Mitarbeiter:innen daran orientieren können. Und sie sollten regelmäßig Pausen und Phasen der Entspannung einplanen, um sich zu regenerieren. Außerdem müssen Führungskräfte dafür sorgen, Mitarbeiter:innen rechtzeitig anzusprechen, die ein Zeichen von psychischen Belastungen darstellen.  Arbeitgeber sind dafür verantwortlich, eine moderne Unternehmenskultur zu schaffen, bei der Mitarbeiter:innen fürsorglich behandelt werden und mit ihren Führungskräften über Probleme sprechen können.

Vielen Dank für das Gespräch!